Zum Inhalt springen

Debatte:Warum sollten die Kirchen zu gesellschaftlichen Themen nicht schweigen?

In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen von traditionellen Institutionen abwenden, stellt sich die Frage nach der Rolle von Glauben und Kirche neu. Armin Laschet erinnert in seinem Text daran, dass das Grundgesetz Deutschlands zwar auf einem säkularen Fundament ruht, seine Wurzeln aber auch im Christentum liegen. Er betont, dass die Kirchen eine wichtige Aufgabe haben: Orientierung zu geben, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und die Werte zu stärken, die unser Zusammenleben tragen. Denn gerade in einer verunsicherten und fragmentierten Welt kann die christliche Botschaft Halt und Richtung bieten.
Armin Laschet (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
Datum:
13. Okt. 2025
Von:
Andreas Kaul

von Armin Laschet, MdB

In der Bundesrepublik Deutschland sind Staat und Kirche getrennt. Diese Aussage wird wohl zunächst einmal auf breite Zustimmung stoßen. Und dennoch lohnt es sich, den Begriff des säkularen Staates einmal näher zu betrachten. 
Das Grundgesetz gibt darauf eine klare Antwort. Schon die ersten Worte der Präambel verweisen darauf, dass das deutsche Volk sich das Grundgesetz „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gegeben hat. Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes stellt klar, dass „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich (sind).“ Der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof hat es wunderbar formuliert. Das Grundgesetz bekennt sich zur Verantwortung vor Gott, es ist aber nicht im Namen Gottes erlassen worden. Die Verfassung beruht auf verschiedenen Wurzeln, von denen eine das Christentum ist. Die Verfassung kann aber nur gedeihen, wenn diese Wurzeln nicht verdorren. Deshalb brauchen unser Land und unsere Demokratie das Christentum und die Kirchen. Daraus leitet sich aber nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht der Kirchen ab, an den gesellschaftlichen Debatten teilzunehmen. 
Das gilt umso mehr, wenn die Bindungen der Menschen an Institutionen geringer werden. Die Bereitschaft der Menschen zu sozialem Engagement ist groß, aber die Bereitschaft, dabei verbindlich zugehörig zu sein, nimmt immer weiter ab, bei Parteien, Gewerkschaften, aber auch bei den Kirchen. Noch 1970 waren 93 Prozent der Menschen in der damaligen Bundesrepublik katholisch oder evangelisch. Im Jahr 2024 war die Zahl der Konfessionslosen in Deutschland erstmals ebenso groß wie die Zahl der Katholiken und Protestanten zusammen.
Dabei ist das Bedürfnis nach Sinnsuche im Leben, nach Spiritualität, nach Antworten auf die großen Lebensfragen unverändert groß. Hinzu kommen Zukunftsängste, vor einem neuen Krieg, vor dem zunehmenden Ärztemangel im Gesundheitswesen oder auch davor, dass die Rente in einer immer älter werdenden Gesellschaft trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht reichen wird. Immer mehr Menschen fühlen sich einsam, auch junge Menschen. Dieses Gefühl könnte sogar zu einer Herausforderung für unsere Demokratie werden. Bedenklich ist beispielsweise die Entwicklung, dass mit künstlicher Intelligenz schon heute Charaktere und Personen digital geschaffen werden können, die als Gesprächspartner oder Partnerersatz dienen. Aber wo bleiben hier die Werte, die Ethik? Wo finden wir dann authentische Menschen, die uns glaubwürdig Orientierung geben?
Hier haben die Kirchen große Aufgaben. Es ist gut, wenn Christen in die Kirche gehen, aber Christentum muss auch außerhalb der Kirchen stattfinden, wenn die Kirchen wieder voller werden sollen. Deshalb müssen sich Kirchen auch in die Gesellschaft und in die Politik einmischen. Das Christsein ist nicht nur nach innen gerichtet. Es findet auch und vor allem im Miteinander statt. „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst!“ fordert Jesus von uns. Es ist eine Aufgabe der Kirchen, Orientierung zu geben, was diese Aufforderung für uns heute bedeutet. 
Und es ist meine tiefe Überzeugung, dass es für unsere zerrissene Welt nichts Besseres gibt, als die christliche Botschaft. Sie steht für die Würde jedes Menschen, für friedliche Konfliktlösung, für Respekt und soziale Verantwortung.