Debatte:Offene KI für eine freie Bildung

von Andreas Menne, KSI
"Hausaufgaben werden wahrscheinlich nie mehr ganz das sein, was sie einmal waren." Das sagte Sam Altman, Geschäftsführer von OpenAI, im vergangenen Sommer bei einem Gastvortrag an der Keio Universität in Tokio.1 Mit seiner Entscheidung zur kostenlosen Freigabe von ChatGPT im November 2022 hat Altman nicht nur den öffentlichen Diskurs über KI wesentlich mitbestimmt, er befeuerte zugleich vielerorts bildungspolitische Debatten. Er selbst mutmaßt in seinem Vortrag, das Bildungssystem werde sich in Zukunft grundlegend verändern: Lernformen und Unterrichtskonzepte müssten angesichts Künstlicher Intelligenz weiterentwickelt werden, es brauche alternative Prüfungsformate und neue Kriterien der Leistungsbewertung. Zukünftige Generationen benötigten außerdem umfassende Kompetenzen der Recherche und Bewertung von Informationen.
Die Forderungen selbst dürften kaum überraschen. Sie liegen auf der Linie dessen, was auch Bildungsministerien, Universitäten und Lehrer/-innenverbände seit dem Eintritt generativer Sprachmodelle in unseren Medienalltag verlautbart haben.2 Und doch haben diese Worte aus dem Mund Altmans einen anderen Klang. Denn erstens kann er sich sicher sein, dass weder er und noch seine Mitarbeitenden die Verantwortung dafür tragen, diese ans Bildungssystem gerichteten Ansprüche auch einzulösen. Die Arbeit damit trifft vor allem pädagogische Fachkräfte und Einrichtungen. Und zweitens stellt der Bildungsbereich für Altmans Unternehmen einen nicht zu unterschätzenden Markt dar. Prognosen besagen, dass sich die Ausgaben für Bildungstechnologien (sog. EdTech) zwischen 2018 und 2025 weltweit versechsfachen werden – auf einen Gesamtwert von 12,6 Milliarden Dollar pro Jahr.3
Es kam somit nicht ganz überraschend, als Altman Anfang dieses Jahres ein stärkeres Engagement von OpenAI auf dem Feld der Bildung verkündete: „Wir wollen einen sicheren und verantwortungsvollen Weg finden, unser Tool in der Breite für Jugendliche und andere Menschen zugänglich zu machen, damit diese es als Teil ihrer Bildungserfahrungen nutzen können.“4 Das Ziel sei eine Welt, in der „jede/-r Jugendliche und Erwachsene über eine personalisierte KI verfügt“.
Mit dieser Vision sind zahlreiche ökonomische, daten- und urheberschutzrechtliche, entwicklungsorganisatorische und digitalkulturelle Herausforderungen für Schulen und andere Bildungsinstitutionen verbunden.5 Die zwei wichtigsten Fragen dürften aber lauten: Traut man einem Technologiekonzern die pädagogischen Kompetenzen zu, unsere Bildungslandschaft ganz wesentlich und konstruktiv mitzugestalten? Und: Gibt es Alternativen zu der von Altman angestrebten Entwicklung?
Das Medienkompetenzzentrum im KSI beteiligt sich daher am „Forum offene KI in der Bildung“.6 Im Austausch mit vielen Bildungsakteur/-innen aus dem gesamten Bundesgebiet entsteht dabei in insgesamt fünf Schreibwerkstätten ein gemeinsames Arbeitspapier, das Ideen einer offenen Nutzung und demokratischen Gestaltung von Künstlicher Intelligenz in Bildungskontexten entwickelt, gute Beispiele für eine nachhaltige und pädagogisch steuerbare KI-Infrastruktur sammelt und bildungspolitische Handlungspotentiale aufzeigt. Das Arbeitspapier wird am 14. Mai 2024 im Einstein Center Digital Future in Berlin vor bundespolitischen Entscheidungsträger/-innen präsentiert. In der kommenden Ausgabe des ksi inform berichten wir über die Ergebnisse.
Andreas Menne, Leiter Medienkompetenzzentrum im KSI
Fußnoten
1 Keio University, Open Dialogue between OpenAI CEO and Keio Students, 2023: https://www.youtube.com/watch?v=lq-3T5t0p3U.
2 Beispielhaft: Ständige Wissenschaftliche Kommission, Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem, 2024: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2024/SWK-2024-Impulspapier_LargeLanguageModels.pdf.
3 Statista, Forecasted Expenditure on Advanced Education Technology Worldwide from 2018 to 2025: https://www.statista.com/statistics/1085930/edtech-expenditure-forecast/. Dem Markt für Künstliche Intelligenz werden dabei die größten Wachstumspotentiale zugetraut.
4 Jonathan Vanian, OpenAI is working on AI education, CNBC, 2024: https://www.cnbc.com/2024/01/29/openai-is-working-on-ai-education-safety-initiative-with-common-sense.html.
5 Allein datenschutzrechtlich ist das Feld sehr dynamisch und es dürfte sich mit der zuletzt eingeführten Memory-Funktion von ChatGPT wieder einiges verschieben: Philipp Steevens, ChatGPTs Memory-Funktion, 2024: https://www.heise.de/meinung/ChatGPT-mit-Gedaechtnis-Die-Datenkrakerei-geht-zu-weit-9629079.html.
6 Informationen zum Forum: https://www.wikimedia.de/forum-offene-ki-bildung/.