Zum Inhalt springen

Debatte:Data Illiteracy - der Analphabetismus des digitalen Zeitalters

Die steigende Bedeutung von Datenkompetenz im digitalen Zeitalter wird angesichts wachsender Datenmengen und der Verbreitung von Desinformation immer offensichtlicher. Umfrageergebnisse zeigen, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, unzuverlässige oder falsche Informationen zu identifizieren oder KI-generierte Inhalte von menschlichen zu unterscheiden. Der Mangel an Datenkompetenz macht die Gesellschaft anfälliger für Betrug und Desinformation. Daher ist eine verbesserten Medien- und Datenkompetenzbildung dringend erforderlich.
Roboter greift menschliche Hand
Datum:
29. Apr. 2024
Von:
Andreas Kaul

von André Schröder, KSI

Wenn man vor einigen Jahren beim Smalltalk gesagt hätte, man sei Experte für theoretische Statistik oder eine Datenanalystin, dann wäre das Gespräch wahrscheinlich schnell auf ein anderes Thema gelenkt worden. Klingt doch kaum etwas langweiliger und nüchterner als große Datenmengen. Spätestens seitdem Tech-Giganten ihr Geld maßgeblich mit der Verarbeitung von Nutzerdaten verdienen, hat sich der Wind aber deutlich gedreht. 

Nicht nur entwickelt sich das Berufsfeld von Datenfachleuten zum Trendberuf mit guten Zukunftsaussichten, sondern wird Datenkompetenz auch zu einer immer wichtigeren Grundfertigkeit, um im digitalen Zeitalter noch den Überblick zu behalten. Warum ist sind Daten heute so ein wichtiges Gut und werden nicht umsonst als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet?


Laut Digitalindex 2023/24 traut sich gerade einmal gut die Hälfte der Befragten (58%) zu, „unseriöse Nachrichten zu erkennen“. Ein ähnlicher Anteil (51%) sieht sich dazu in der Lage, die „Richtigkeit von Informationen und Quellen“ zu prüfen. Wenn KIs im Spiel sind, ist der Anteil noch einmal deutlich eklatanter. Gerade einmal 22% können erkennen, ob Nachrichten, Musik oder Bilder von einer KI oder einem Menschen erstellt worden sind. Lediglich 61% der Bürgerinnen und Bürger (Tendenz sinkend) seien für den digitalen Wandel gut gewappnet und nur die Hälfte aller Befragten gibt an, über alle 5 digitalen Basiskompetenzen zu verfügen.


Dabei ist es heute von entscheidender Bedeutung, dass wir als Bürger/innen über Datenkompetenz verfügen. Dazu schreiben die Datenexpertinnen Schüller, Busch und Hindinger schon 2019: Data Literacy lässt sich als die Fähigkeit auffassen, die ein mündiger Bürger in der Digitalisierung benötigt, um sich in einem Überangebot von Daten und Informationen zurechtzufinden und fundierte Entscheidungen zu treffen – im Alltag wie auf verschiedenen politischen Ebenen. Diese Entscheidungskompetenz setzt Unterscheidungsfähigkeit voraus, um Daten und Informationen von Interpretationen und Meinungen zu differenzieren.


Dieser Aspekt wird seit dem deutlichen Anstieg an Desinformation im Netz und dem Boom KI-unterstützter Anwendungen wie ChatGPT oder Midjourney umso wichtiger. Die Kosten und der Zeitaufwand, fiktive und sehr echt wirkende Informationen zu generieren und über das Internet zu verbreiten, sind mittlerweile extrem gering und die Methoden immer ausgefeilter.


Dazu ein Beispiel: Eine besonders perfide Betrugsmasche, die aktuell zunehmende Verbreitung findet, ist das so genannte pig butchering (dt.: Schweineschlachten). Damit ist ein Investitionsbetrug gemeint, bei dem die Opfer dazu gebracht werden, immer größere Beträge in eine vermeintlich lohnenswerte Investition über Kryptowährung zu investieren. Der Profiteur verschwindet nach einer großen Abschlussinvestition, bevor der Betrug aufgedeckt wurde. Die Parallele zur Schweineschlachtung rührt daher, dass auch die Schweine vor der Schlachtung gemästet werden.


Was auf den ersten Blick wie eine leicht durchschaubare Methode erscheint, kommt in Wahrheit sehr gut getarnt daher. Die Lockvögel, oftmals selbst Betrugsopfer oder Opfer von Menschenhandel, werden unter falschen Vorwänden aus dem Ausland angelockt und dann gezwungen, sich innerhalb einer Betrugsfabrik als telefonischer Kontakt zu beteiligen. Unter falscher Identität nimmt der Betrüger über soziale Netzwerke oder Datingportale mit dem Opfer Kontakt auf. Was dann folgt, ist ein vierstufiges Verfahren: Vertrauen gewinnen, die Investitionsmöglichkeit vorstellen, Geld einsammeln, verschwinden. Insbesondere das Schaffen einer Vertrauensbasis kann ein durchaus langwieriges Verfahren darstellen, bei dem sehr genau darauf geachtet wird, gemeinsame Themen und Interessen zu finden. Die Vorstellung der möglichen Investition folgt oftmals unter Zuhilfenahme täuschend echt aussehender Apps, die in ihrer Darstellung Aktien-Apps sehr stark ähneln, nur, dass das dargestellte Investment und dessen Rendite niemals dort hinterlegt werden. Der entstandene Schaden beträgt, einer Studie der University of Texas zufolge, schon ca. 75 Mrd. Dollar und steigt in den letzten Jahren sprunghaft an.


Aber dieses Beispiel ist nur die Spitze des Eisberges. Laut Statista beträgt der Anteil an Spam-Mails am gesamten E-Mail-Verkehr im beobachteten Zeitraum zwischen 57 und 45%. Davon kam der größte Anteil aus Russland. Die AfD dominiert im Vergleich zu den anderen Parteien nahezu alle Kanäle der Sozialen Medien in fast allen Bereichen (Klicks, Follower/Abonnenten, Interaktionen, Impressionen). Über diese Wege gelingt es der Partei, ihre rechten Ideologien und Parolen insbesondere bei der Zielgruppe Kinder und Jugendliche, aber auch bei Erwachsenen und älteren Wählerinnen und Wählern zu platzieren.


Dem kann man nur entgegenwirken, wenn man kompetent mit Daten umgehen kann und sich darüber hinaus bewusst macht, wo welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden. Dateninkompetenz (engl. Data Illiteracy) macht uns zu einem leichten Ziel und schwächt unsere digitale Resilienz. Daher braucht es gute Bildungsarbeit in den Bereichen Medien- und Datenkompetenz, die schon früh ansetzt. Mit Projekten wie den Digital Detektiv/innen von der Stiftung „Kinder forschen“ oder der VHS-App „Stadt, Land, Datenfluss“ sind ein guter Anfang gemacht. Davon braucht es mehr.

André Schröder

pädagogischer Referent im KSI